APL 066: Warum Kochrezepte beim Backen von Kuchen funktionieren, nicht aber beim Lösen von Problemen

Informationen zu der Episode:

Vor ein paar Tagen bei einer Geburtstagsfeier bin ich in ein spannendes Gespräch geraten. Das Gespräch hat mit der Frage begonnen, ob man an Probleme mit Kochrezepten herangehen kann, und ob das sinnvoll ist.

In dieser Gesprächsrunde waren wir alle so um die 40 Jahre alt, alle mit mehr oder weniger Wirtschafts-Hintergrund, und alle haben wir in den vergangenen 20 Jahren die verschiedensten Moden und Trends gesehen. Sei es als Berater, als Angestellter im Konzern oder als Unternehmer. Da war wirklich so ziemlich alles dabei. Von Zentralisierung bis Dezentralisierung und wieder zurück, von Balanced Scorecard bis Management by Objectives, von Lean bis Scrum, von autoritärer Führung über direktive Führung bis Empowerment.

Wir waren uns rasch einig, dass es bei allen Zugängen, bei allen Systematiken um die Wirksamkeit geht, nur um die Wirksamkeit gehen kann. Recht hat letztlich immer der, der auch Erfolg hat. Allerdings hatten wir mit den diversen Trends und Moden, man könnte sagen Methoden-Moden ganz unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Wir haben über Unternehmen gesprochen, die wir kennen. Und da waren welche dabei, die mit modernen Methoden erfolgreich waren. Und andere, die mit modernen Methoden fest gegen die Wand gefahren sind. Und wir kennen Unternehmen, die so geführt werden, wie man das in den 60er Jahren gemacht hat, also autoritär und zentralistisch, ohne jede Einbindung der Mitarbeiter, ja ohne jeden Respekt für die Mitarbeiter. Eigentlich dürfte es solche Unternehmen gar nicht mehr geben. Das widerspricht doch allem, was wir in den letzten Jahren über Führung und Motivation gehört haben.

Jeder in unserer Rund hat aber das eine oder andere Unternehmen gekannt, das genau das macht, und damit erfolgreich ist.

Nach einem langen und diskussionsreichen Abend waren wir uns schließlich sicher: Erfolg kommt nicht von der richtigen Methode, und funktionierende Kochrezepte gibt es schon gar nicht. Also zum Teufel mit den diversen Management-Moden und -Trends?

Nein, denn diese Moden und Trends haben durchaus ihre Meriten. Man beginnt zu hinterfragen, ob das, was man macht, richtig ist, ob es einen zum Ziel führt. Allerdings erspart einem die Mode nicht das Nachdenken darüber, ob es denn im aktuellen Kontext geeignet und angemessen ist. Denn genau hier liegt der häufigste Fehler. Es bringt überhaupt nichts einen aktuellen Management-Trend herzunehmen und einfach mal zu implementieren. Wie ein Kochrezept nachzukochen. Und dabei ist es ziemlich egal, ob das ein neuer Trend wie Holocracy oder eine längst überholte Mode wie Management by Objectives ist. Die Kochrezept-Denke funktioniert nicht.

Was funktioniert stattdessen? Überlegen, welche Philosophie, welche grundlegende Denke hinter dem Konzept steht. Dann schauen, ob diese Idee für den Einsatz im eigenen Unternehmen passt. Und erst dann genau das übernehmen, was passt, was hilft, was wirksam ist.

Dazu ein paar Beispiele:

MbO / Management by Objectives: wer heute in einem größeren Unternehmen arbeitet, der kennt das… viele, viele Mitarbeiter, wenigstens ab einer gewissen Ebene im Unternehmen haben einen variablen Gehaltsbestandteil, der von der Erreichung von Zielen abhängt. Management by Objecives hat man zur meiner Zeit meines Studiums übersetzt mit „Führen mit Zielen“. Da hängen dann 10% oder 20% des Gehalts, oder noch mehr davon ab, ob man definierte Ziele erreicht. Was früher, die absolute Ausnahme war, hat vor ein paar Jahren einen unrühmlichen Höhepunkt erreicht und geht derzeit in vielen Unternehmen wieder etwas zurück.

Hat Management by Objectives oder MbO auch Vorteile? Ja, hat es. Weil es das Management dazu zwingt die Unternehmensziele immer weiter herunterzubrechen und darüber nachzudenken, welchen Beitrag die einzelnen Bereiche, Abteilungen und Mitarbeiter dazu haben können.

Hat MbO auch Nachteile? Ja, und zwar eine ganze Menge: den Mitarbeitern wird suggeriert, dass sie nur einen Teil der Leistung für ihr Gehalt  erbringen müssen, also zum Beispiel 80%, weil für die restlichen 20% kriegen sie eh einen Bonus. Jedes Mitarbeitergespräch wird gleichzeitig zu einer Gehaltsverhandlung. Mitarbeiter wehren sich gegen ambitionierte Ziele, während sie die andernfalls sogar selber vorschlagen. MbOs führen regelmäßig zu einem zentralen Bürokratismus. Und schließlich, dort, wo die Ziele festgelegt werden, gibt es regelmäßig kein echtes Verständnis darüber, wer welchen Beitrag leisten kann und soll, und wie der aussieht. Damit wird zwar gesteuert, aber in die falsche Richtung.

Ich habe ehrlich gesagt keine besonders hohe Meinung von MbOs. Hört man vielleicht raus. Allerdings ist die grundsätzliche Intention nicht verkehrt, nämlich Ziele runterzubrechen. Allerdings kann man das auch gut ohne finanzielle Anreize machen. Dann fällt auch der ganze Bürokratismus weg und man demotiviert die Menschen auch nicht mit sinnlosen Zielen.

Nächstes Beispiel Balanced Scorecard: irgendwann Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre ist jemandem aufgefallen, dass viele, viele Unternehmen fast ausschließlich nach finanziellen Kennzahlensystem gesteuert werden. Wenigstens auf große börsenotierte Firmen hat das damals jedenfalls zugetroffen. Wenn man aber nur mit einem finanziellen Kennzahlensystem steuert, dann übersieht man wichtige Themen, wie etwa die Mitarbeiter, die Kunden und die Abläufe im Unternehmen, die Prozesse. Balanced Scorecard hat genau diese Elemente in das Steuerungssystem aufgenommen und ist in den folgenden Jahren zu einer Mode geworden, die von vielen großen Unternehmen aufgegriffen worden ist.

Warum ist eine Balanced Scorecard oder BSC gut? Ganz klar, weil sie Informationen bietet, die weit über die wirtschaftliche Leistung eines Unternehmens hinaus gehen.

Warum ist eine Balanced Scorecard schlecht? Ich behaupte schlecht ist nicht die BSC an sich, sondern die Tatsache, dass wir so etwas überhaupt brauchen. Wenn ich mit Unternehmern spreche, dann ist es für die vollkommen selbstverständlich, dass Kunden, Mitarbeiter und Prozess von zentraler Bedeutung sind. Die brauchen keine BSC um zu verstehen, was wichtig ist und sich das auch regelmäßig anzusehen. Wenn sie das nämlich nicht kapieren und sich nicht regelmäßig anschauen würden, dann wären sie erst gar keine Unternehmer geworden, wenigstens keine erfolgreichen. Überspitzt könnte man sagen: MbOs, also Boni für die Erreichung von Zielen, haben die Leute in Unternehmen so blind für alles andere gemacht, dass wir ihnen das mit der BSC wieder näherbringen müssen.

Daher: der Gedanke einer BSC ist schon ein Guter. Jedes Unternehmen sollte regelmäßig darüber nachdenken, wie es mit Kunden, Mitarbeitern und Prozessen umgeht. Und natürlich sollte man das auch messen. Ich verstehe die BSC allerdings als eine Erinnerung, sich mit den wichtigen, weil aussagekraftigen Steuerungsgrößen im Unternehmen  zu beschäftigen, als ein Kochrezept, an das man sich halten muss.

Drittes Beispiel Scrum / Agil: die Art, wie wir Projekte managen ändert sich gerade massiv. Bis vor ein paar Jahren hat man Projekte nach der Methode Wasserfall aufgeplant und abgearbeitet. Also zu Beginn überlegt, was mich zum Ziel führt, Aufgaben runterdetailliert, mit Ressourcen und Zeiten versehen und dann in einen Projektzeitplan gegossen. Seit ein paar Jahren gibt es agile Projektmanagementmethoden, Stichwort Scrum. Scrum kommt aus der IT-Welt. Wer schon IT-Projekte gemacht hat, der weiß, dass sich vieles, vieles von dem, was in einem solchen Projekt passiert, vorher nicht planen lässt. Daher macht es Sinn solche Projekte anders zu managen, mit anderen Rollen, anderen Teamstrukturen und anderen Forme der Zusammenarbeit. Ich persönlich mag agile Methoden sehr, weil sie der Dynamik und Komplexität der modernen Welt besser gerecht werden, als der klassische Projektmanagement-Ansatz.

Welchen Nachteil aber haben agile Methoden? Sie sind nicht für alles gleich gut geeignet. Denn natürlich gibt es viele, viele Projekte, für die der Wasserfall passt. Insbesondere gilt das für Projekte, die stabil und gut planbar sind. Für Projekte, in denen Kompliziertheit vorherrscht. Was aber sehe ich viel zu oft: alles muss agil gemacht werden, weil es scheinbar die neue, bessere Art ist ein Projekt zu machen. Das ist Blödsinn.

Damit komme ich zum entscheidenden Punkt: die allermeisten Methoden lassen sich zwar kochrezeptartig verwenden, es ist aber blöd. Es ist deshalb blöd, weil das Entscheidende nicht ist eine Methode von A bis Z nachzuhüpfen. Nein, es geht vielmehr darum die grundlegenden Gedanke hinter einer Methode zu verstehen. Und dann zu schauen ob das für mich passt.

In diesem Sinne ist diese Podcast-Episode auch die Antwort auf eine Frage, die mir kürzlich ein Kunde gestellt hat, als ich ihm meinen Zugang zur Problemlösung vorgesellt habe. „Gibt es ein Kochrezept für das Lösen von Problemen“, hat er gefragt. Nein, habe ich gesagt, es gibt kein Kochrezept. Was es aber gibt sind Denkmodelle, die einem helfen. Es gibt Denkmodelle, die einem helfen über die richtigen Dinge nachzudenken, die einem helfen ein Problem zu strukturieren und die besten Lösungen zu finden.